02 | 05 | 2024

Diagnose
Allgemeines

Transsexuelles Syndrom

Allgemeines

Zu dem Begriff Diagnose finden wir im Duden unter anderem: "...unterscheidende Beurteilung, Erkenntnis"und dann spezieller: " ... Bestimmung einer körperlichen oder psychischen Krankheit durch den Arzt".

Nach unserem geltenden Rechtssystem der Gesundheitsfürsorge und Gesundheitsvorsorge, geregelt u.a. im Grundgesetz Art. 2 "Recht auf körperliche Unversehrtheit", der Reichsversicherungsordnung RVO und dem Sozialgesetzbuch, hat jeder Mensch das Recht auf körperliche und psychische Gesundheit. Die dabei entstehenden Kosten trägt im Normalfall die Sozialgemeinschaft.

Körperliche und psychische Gesundheit ist jedoch ein sehr subjektiv empfundenes und erlebtes Gut. Tatsache ist, daß nicht jeder Mensch der sich gesund fühlt auch gesund ist, nicht jeder der sich krank fühlt ist krank. Da Gefühle real sind, für den der sie erlebt, für andere Menschen aber dieses Erleben durchaus als irreal angesehen werden kann, kommt es durchaus zu Konflikten zwischen den Menschen, bezogen auf die Begriffe Gesundheit und Krankheit.

Bei der Beurteilung müssen deshalb objektivierbare und vergleichbare Maßstäbe gefunden und angelegt werden. Ein Mensch der sich "krank" fühlt geht deshalb zum Arzt und dieser versucht nun, in Zusammenarbeit mit dem Patienten eine Diagnose zu stellen. Unabhängig vom Ausgang einer Diagnose gehört jeder vernünftige Aufwand zur Erstellung der Diagnose in den Bereich der Leistungspflicht der Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen. Was Arzt und Patient, im gegenseitigen Einvernehmen, dabei für notwendig halten muß auch ohne vorherige Genehmigung des zuständigen Kostenträgers von diesem bezahlt werden. Das finanzielle Risiko trägt im Streitfall der Arzt und nicht der Patient.

Alle diese Aussagen gelten uneingeschränkt auch für transidentische Menschen - TransFrauen und TransMänner.

Transsexuelles Syndrom

Der 3. Senat des Bundessozialgerichtes stellte am 6. Aug. 1987 (Az: 3 RK 15/86; viele Med. Dienste und Krankenkassen berufen sich auf dieses Urteil) zur Kostenübernahme und dem Krankheitsbegriff folgendes fest:

1. Der Krankheitsbegriff umfaßt nicht nur einen regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper - oder Geisteszustand, sondern darüber hinaus auch einen Leidensdruck, durch den sich die Regelwidrigkeit erst zur eigentlichen Krankheit i.S. von § 182 Abs. 2, § 184 Abs. 1 RVO qualifiziert.

2. Eine Linderung des krankhaften Leidensdruckes durch eine geschlechtsumwandelnde Operation reicht als anspruchsbegründender Umstand in dem Sinne aus, als diese Operation nicht eine Heilung erwarten lassen braucht.

3. Ist der Nachweis der Zweckmäßigkeit einer ärztlichen Behandlung im Einzelfall erbracht, dann ist diese Leistung selbst dann zu erbringen, wenn ihre Zweckmäßigkeit nicht allgemein anerkannt ist (vgl. BSG vom 22.7.1981 3 RK 50/79 = BSGE 52, 70, 74).

Für die Erstellung einer Diagnose "transsexuelles Syndrom" macht das Bundessozialgericht zwei wesentliche Aussagen:

1. es spricht von einem regelwidrigen, vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper oder Geisteszustand

2. es spricht vom Leidensdruck, der die Regelwidrigkeit zur eigentlichen Krankheit macht.

Für den Diagnostiker und den Patienten ergeben sich folgende Frage:

"Worin besteht die Regelwidrigkeit?"

"Woher kommt der Leidensdruck ursächlich? - Was bedeutet es, wenn kein ausgeprägter Leidensdruck feststellbar ist?"

"Wie sieht das Leitbild des gesunden Menschen aus, mit dem verglichen werden soll?"

Menschen, die das sichere Gefühl haben Mann, bzw. Frau zu sein und bei denen dieses Gefühl nie gefordert ist, weil die Zuordnung bei der Geburt entsprechend erfolgte, können fast ausnahmslos nicht erklären warum sie Mann oder eben Frau sind. Es wird von ihnen auch nie gefordert (auch nicht vom Diagnostiker, bei dem sich ein transidentischer Mensch mit seinen Beschwerden gemeldet hat). Ihre Geschlechtsidentität ist in Übereinstimmung mit ihrer biologisch begründeten Zuweisung, ihrem Geschlecht. Daraus entsteht der Eindruck, daß diese Übereinstimmung dem Leitbild des gesunden Menschen entspricht.

Im Umkehrschluß müßte dies für die Diagnose bedeuten, dass mit dem sicheren Gefühl dem anderen Geschlecht anzugehören die Regelwidrigkeit bereits bestätigt ist. Dieses sichere Gefühl hat aber nur der Patient und er kann es eben weder besser noch schlechter zum Ausdruck bringen als jeder andere Mensch (bezogen auf seine Geschlechtsidentität).

Da Transidenten mit ihrem Körper geboren werden (mit was denn sonst) ist es auch zunächst kein falscher Körper. Erst durch die Reflexion mit der Umwelt erleben Transidenten, dass ihr Körper zwar der Norm der Geschlechtszuweisung entspricht, nicht aber der Norm der erlebten Identität. Daraus kann ein tiefgreifender Leidensdruck entstehen aber auch ein Arrangement mit der eigenen Andersartigkeit. Dieses Arrangement kann einen Leidensdruck verhindern aber auch einen vorhandenen Leidensdruck überdecken. Außerdem ist Leidensdruck ein Gefühl und wird somit subjektiv empfunden, von anderen Menschen aber u.U. völlig anders wahrgenommen.

Der erste Leitsatz des Grundsatzurteils gibt Hinweise zur Diagnostik, der dritte Leitsatz macht einewesentliche Aussage zur Behandlung (auf den ich eingehen will, bevor ich zur Diagnostik abschließend Stellung nehme).

"... Nachweis der Zweckmäßigkeit einer ärztlichen Behandlung im Einzelfall ... ist diese Leistung selbst dann zu erbringen, wenn ihre Zweckmäßigkeit nicht allgemein anerkannt ist ... "

Oft erlebe ich, daß Diagnostiker, seien es nun allgemein Ärzte, Neurologen oder Psychiater, Psychologen oder Sexualmediziner, die Feststellung der Diagnose verzögern oder sogar versuchen sie zu verhindern, aus Angst der Patient würde dann sofort alles medizinisch Machbare verlangen nur um endlich ganz Frau oder ganz Mann zu sein. Statt dessen verordnen sie ohne diagnostische Begründung Heilmaßnahmen wie eine mindestens 12 monatige Psychotherapie, psychosomatische Kur oder sogar einen stationären Aufenthalt in der Psychiatrie. Die Solidargemeinschaft der Versicherten wird damit auf eine ungesetzliche Art und Weise mit Kosten belastet, der so handelnde Diagnostiker müßte eigentlich in Regreß genommen werden. Das Bundessozialgericht hat eindeutig verlangt, daß der Nachweis der Zweckmäßigkeit einer ärztlichen Behandlung im Einzelfall zu erbringen ist (und diese Feststellung gilt nicht nur für geschlechtsangleichende Behandlungsmaßnahmen).

Sinn dieser Ausführungen kann es nicht sein hier eine Aus- oder Weiterbildung für Diagnostiker zu geben. Ich zähle deshalb lediglich in verkürzter Form auf um was es bei der Diagnose "transsexuelles Syndrom" gehen kann.

1. Der Patient fühlt sich, abweichend vom Geburtseintrag, dem anderen Geschlecht zugehörig und sucht deshalb den Arzt auf. Er berichtet von den Problemen die er damit hatte, zur Zeit hat und in Zukunft erwartet. Er wird auch Vorschläge machen wie er sich eine Verbesserung seiner Situation vorstellt.

2. Der Arzt versucht sich von der Ernsthaftigkeit der geschilderten Situation ein Bild zu machen und wird deshalb hinterfragend mit dem Patienten in Kontakt treten. Er weiß, dass Gefühle für den Menschen der sie hat immer real sind, auch wenn er sie so nicht erkennen oder verstehen kann(die meisten Transidenten verstehen ihre Gefühle auch nicht und haben sie trotzdem).

3. Der Arzt macht die nötigen Untersuchungen zur medizinisch, biologischen Differenzialdiagnose (oder überweist zu einem Kollegen). Dabei muß mindestens festgestellt werden ob (a) genitale Abweichungen oder Fehlbildungen vorliegen, ob (b) der Hormonspiegel oder andere Blutwerte auf eine andere Krankheit hinweisen, eventuell auch ob (c) chromosonale Abweichungen gegeben sind. (Ergeben die Untersuchungen nach (a) und (b) keinerlei Abweichungen kann auf (c) verzichtet werden.) Ist der Körper des Patienten im Sinne der biologischen Zuordnung gesund dann ist dieser Teil der Ausschlußdiagnose abgeschlossen. (Abweichungen sind aber noch kein hinreichendes Indiz dafür, daß kein transsexuelles Syndrom vorliegen kann. Sie machen die Diagnose jedoch schwieriger.)

4. Der Arzt überzeugt sich durch geeignete Maßnahmen von der neurologischen und psychischen Gesundheit des Patieten oder überweist ihn zu einem fachlich geeigneten Kollegen. Ist der Patient im Sinne der Untersuchung gesund, dann ist auch der zweite Teil der Ausschlußdiagnose abgeschlossen. (Ergeben sich Anhaltspunkte für eine neurologische oder neurotische Erkrankung, bzw. für eine psychotische Störung so ist dies noch kein hinreichendes Indiz dafür, daß kein transsexuelles Syndrom vorliegen kann. Sie machen die Diagnose jedoch schwieriger.)

5. Der Arzt hat nun festgestellt, daß der Patient im Sinne des Leitbildes eines gesunden Menschen gesund ist, mit Ausnahme dessen Gefühls dem anderen Geschlecht anzugehören. Der Patient leidet folglich unter einem transsexuellen Syndrom (wobei die Stärke des Leidens nicht ausschlaggebend ist).

(6. Der Arzt wird nun mit dem Patienten gemeinsam Schritte der Behandlung besprechen und ihn dabei begleiten.)

© H.K. Alter

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