Behandlungsempfehlungen in NRW
1999
Hinweis: Der unten zitierte Gutachter ist seit 2000 nicht mehr tätig, und in NRW hat sich die Verfahrensweise seitdem gebessert. Da aber ähnliches auch in anderen Zuständigkeitsbezirken des MDK weiterhin gängig ist, steht dieser Text auch weiterhin als Illustration einer bestimmten Haltung von Gutachtern hier zur Verfügung.
Transsexualität fällt nicht unter das Seuchengesetz - sie ist also weder meldepflichtig, noch gibt es dafür verbindliche Behandlungsvorschriften.
Laut Auskunft des MDK-Nordrhein gelten die Behandlungsempfehlungen, die Standards für die Begutachtung und Behandlung Transsexueller, veröffentlicht von der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin, die eine Kostenübernahmepflicht der Krankenkassen und Krankenversicherungen dann festschreiben, wenn diese nicht durch andere Gesetze oder Vorschriften sowieso schon gegeben sind, also für all jene Heilmaßnahmen, die beantragt werden müssen.
Auszug aus einem Brief an den Sachbearbeiter einer Krankenkasse
Begleitschreiben zu Anfragen Leistungspflicht bei TS
Frage - Antwort aus einem Gespräch zwischen Dr. D. Banaski mit Helma Katrin Alter, Ende 1995
Ablehnungsschreiben, wegen Nichterfüllung der Standards
Anfrage zum Thema "Geschlechtsumwandlung"
Sehr geehrter Herr ...,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom ... Die Kriterien für Ihre Leistungspflicht für geschlechtsverändernde Maßnahmen bei Transsexualität orientieren sich an einem BSG-Urteil aus dem Jahre 1987. Ich habe sie in der Anlage beigefügt. Diese Kriterien stimmen im wesentlichen mit den Standards für die Behandlung und die Begutachtung Transsexueller ein, auf die sich die einschlägigen sexualmedizinischen Fachgesellschaften in Deutschland geeinigt haben. Wie Sie daraus entnehmen können, kommt der psychotherapeutischen Begleitung eine zentrale Bedeutung zu. Es wäre also wichtig zu wissen, ob Ihr Mitglied in einer solchen psychotherapeutischen Begleitung ist, bei wem und wie lange schon. Auch sollten sämtliche Bescheinigungen beigebracht werden, die von Ärzten oder Diplompsychologen im Zusammenhang mit dem Transsexualismus erstellt worden sind. Besonders wichtig wäre zu erfahren, ob schon ein Antrag auf Vornamensänderung läuft oder gar entschieden ist. Dann gibt es nämlich schon 1 oder 2 psychiatrische Gutachten, die in der Regel sehr wichtige Informationen, auch zur Frage der Leistungspflicht Ihrer Krankenkasse, enthalten.
Für den Fall, dass Sie es für richtig halten, wäre ich auch gerne bereit, Ihr Mitglied hier in Bonn persönlich zu beraten. Dann ....
Mit freundlichem Gruß
Dr. Banaski
Arzt für Neurologie und Psychiatrie
Psychotherapie, Sozialmedizin
Die Beurteilung der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen
für geschlechtsverändernde Maßnahmen bei Transsexuellen
Zusammenfassung:
Nach den Kriterien, die sich aus dem BSG-Urteil vom 06.08.1987 (3 RK 15/86) ergeben, kann eine gesetzliche Krankenkasse für geschlechtsverändernde Maßnahmen bei Transsexuellen (Operation, Hormonbehandlung, Epilation) leistungspflichtig sein. Voraussetzung ist ein durch die Transsexualität bedingter Leidensdruck, der diese Regelwidrigkeit zur Krankheit qualifiziert. Nicht nur muß dokumentiert sein, daß ein solcher krankhafter Leidensdruck besteht, sondern auch, daß alle psychiatrischen und psychotherapeutischen Mittel erfolglos waren, so daß wahrscheinlich nur geschlechtsverändernde Maßnahmen eine Linderung herbeiführen können. Es ist also außer einer diagnostischen auch eine therapeutische Leistung zu erbringen, die in der Regel mindestens ein bis zwei Jahre dauert. Dem Arzt im MDK fällt die Aufgabe zu, die ihm vorgelegten Berichte auszuwerten. Da die erforderliche diagnostisch-therapeutische Prozedur ihrem Wesen nach nicht von einem Arzt im MDK zu erbringen ist, gilt es, externe sexualmedizinisch qualifizierte Psychiater zu gewinnen. Deren Bericht und ein zweites unabhängiges psychiatrisches Gutachten sind für die Beurteilung der Leistungspflicht unverzichtbare Grundlage. Auch bei einem Antrag auf Kostenübernahme für eine lebenslange Hormonbehandlung oder für eine Epilation sowie eine das körperliche Geschlecht nur teilweise verändernde Operation, wie die Entfernung der Brüste, muß gemäß den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine sexualmedizinische diagnostisch-therapeutische Betreuung vorausgegangen sein, wenn die Frage nach der Leistungspflicht der Krankenkassen vom MDK beantwortbar sein soll.
Dr. D. Banaski
Arzt für Neurologie und Psychiatrie
Psychotherapie, Sozialmedizin
Das folgende Gespräch führte Helma Katrin Alter (Frage) mit Dr. D. Banaski (Antwort) Ende 1995 in den Räumen des MDK-Nordrhein in Bonn (Auszug).
Frage:
Ist es richtig, dass sich die Aufgaben des MDK im Hinblick auf das "Krankheitsbild" Transsexualität in keiner Weise von seinen Aufgaben bei anderen Krankheitsbildern oder Heilmaßnahmen unterscheiden oder gibt es für Transsexuelle besondere Rchtsvorschriften?
Antwort:
Nein, es gibt keine besonderen Rechtsvorschriften. Die Fachärzte des MDK haben sich lediglich auf verschiedenen Gebieten spezialisiert und leiten entsprechend Vorgänge an den jeweiligen, spezialisierten Kollegen weiter. Auch ich habe nicht nur das Gebiet "Transsexualität". ...
Frage:
Transsexualität ist ja keine Krankheit. Folglich kann sie weder diagnostiziert noch geheilt werden. Erst im Kontext mit der Umwelt oder der eigenen Reflexion von der Umwelt kommt es zu Symptomen, die der Transsexualität einen Krankheitswert geben. Daraus ergibt sich doch eindeutig, dass es sich um sehr individuell zu betrachtende Einzelfälle handelt, gleichgültig wie viele es tatsächlich gibt?
Antwort:
Genau so ist es. Aber gerade deshalb ist es doch so wichtig nach genau kontrollierbaren Kriterien vorzugehen, damit es zu keinen Fehlentscheidungen kommt. Ein wichtiges Kriterium ist ja dabei der psychotherapeutisch begleitete Alltagstest.
Frage:
Wenn ich richtig informiert bin, dann gibt es keine Rechtsvorschrift für einen "mindestens einjährigen Alltagstest". Ich habe den Wechsel von einem auf den anderen Tag vollzogen. Hinter mir liegen 49 Jahre gescheiterter "Alltagstest", in dem ich versucht habe die zugewiesene Geschlechterrolle anzunehmen. Ich spürte aber fast ständig, dass ich die Rolle als Mann nur spiele, es aber nicht mein Leben ist. Ist dieser gescheiterte Test nicht wesentlich höher zu werten, als der Versuch nun die Gegenrolle als "Pflichtübung", um Hilfe und Behandlung zu erhalten, zu absolvieren? Wäre es nicht viel wichtiger die Voraussetzungen für das Hineinwachsen in die gefühlte Geschlechtsidentität zu schaffen?
Antwort:
Der Alltagstest soll ja das Hineinwachsen in die neue Geschlechterrolle ermöglichen. Deshalb legen wir ja so großen Wert darauf, bevor irreversible Behandlungsschritte eingeleitet werden.
Frage:
Bei Frau-zu-Mann-Transsexuellen ist ein "Alltagstest" so gut wie nicht möglich. Es gibt jede Menge Frauen, die sowohl äußerlich, als auch im Auftreten männlich sind und, unabhängig davon ob sie sich als Frau fühlen oder als Mann, von der Gesellschaft als Frauen wahrgenommen werden. Es gibt aber auch Frau-zu-Mann-Transsexuelle die, wenn sie jemandem sagen, dass sie transsexuell seien auf die Fragen gefasst sein müssen: "Sie verkleiden sich abends heimlich als Frau?", weil sie trotz des biologisch weiblichen Körpers als Mann wahrgenommen werden. Wie sollen die einen Alltagstest machen? Die können doch in einer begleitenden Therapie nicht dazu gezwungen werden sich erst typisch weiblich zu kleiden, um dann festzustellen, dass das alles Theater war?
Antwort:
...
Frage:
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Antwort:
...
Frage:
Wenn ein Mann-zu-Frau-Transsexueller die Lebbarkeit der gefühlten Geschlechterrolle testen soll, dann wird er doch von der Gesellschaft zunächst nur als verkleideter Mann, eventuell mit der Unterstellung von perversen Absichten, gesehen. Wenn nicht parallel stützende somatische Behandlungen vorgenommen werden, dann kann ein MzF doch gar nicht existieren ohne den Verlust der sozialen Stabilität zu riskieren. Hier müssen doch Heilmaßnahmen schon vor dem sozialen Umstieg greifen und vorgenommen werden, zumindest parallel dazu zeitlich abgestimmt.
Antwort:
Die Patienten, die zu mir in die Beratung kommen sind immer sehr gut angezogen, im Kleid oder Kostüm, und entsprechend geschminkt. Sie legen auch Wert darauf in der Öffentlichkeit so gesehen zu werden.
Frage:
Sie sind aber auch in den Selbsthilfegruppen dafür bekannt, dass Sie diese Erwartungshaltung haben. Ich habe heute bewußt Hose und Pulli und die Ziegenlederjacke angezogen, um eben nicht diesem Bild zu entsprechen. Ihre Mitarbeiterin hat übrigens heute auch Hose und Puli an. Ich habe mich auch bewußt nicht geschminkt, obwohl die Nadelepilation nach einem Jahr mit insgesamt 200 Behandlungsstunden noch lange nicht abgeschlossen ist.
Das schlimmste Problem bei MzF ist doch der Bartschatten und der Zwang zum sehr starken Schminken. Ich verstehe nicht, wieso bisher die Epilation erst nach einer geschlechtsangleichenden Operation bezahlt wird. Damit werden MzF-Transsexuelle doch geradezu in die OP gezwungen, weil sie als Frau nicht mit Bart leben können. Wenn sich im Einzelfall bei der schon laufenden Epilation noch herausstellen sollte, dass die Rolle nicht lebbar ist, dann ist doch der einzige Schaden ein gut rasierter Mann. Bei einer erfolgten OP, wenn die Entscheidung sich als falsch erweist, führt dies aber zu einer lebenslangen Verstümmelung. Ist in Ihren Behandlungsempfehlungen nicht die Reihenfolge vertauscht, nach dem Motto: Echte TS wollen die OP und außerdem sind sie bereit die Leiden des Bartes hinzunehmen bis sie alles durch haben?
Antwort:
Eigentlich haben Sie recht, sobald die Hormonbehandlung greift sollte einer Epilation nichts im Wege stehen.
(das Gespräch ging über dieses Thema noch weiter und erreichte später folgende Inhalte)
Frage:
Wenn Ihnen die Unterlagen, zur Beurteilung der Leistungspflicht vorgelegt werden, unabhängig davon ob es sich um TS oder einen anderen Fall handelt, dann besteht doch Ihre Aufgaben darin zu prüfen, ob die Diagnose schlüssig gestellt ist, eine Indikation für eine Behandlung vorliegt und die gewählte Behandlungsmethode allgemein anerkannt ist?
Antwort:
Ja.
Frage:
Wenn Sie Zweifel an den Fähigkeiten des Diagnostikers haben, dann müssen Sie doch bei ihm diese Zweifel ansprechen oder dies der Krankenkasse mitteilen und empfehlen ein zusätzliches fachmedizinisches Gutachten einzuholen? Der Patient darf in diese Zweifel doch nicht einfach hineingezogen werden?
Antwort:
Im Prinzip stimmt das. Es kann aber doch sehr hilfreich sein, wenn ich den Patienten einlade und ihm diese Situation erkläre, damit ihm wirklich optimal geholfen wird.
Frage:
In so einem Fall müssen Sie aber doch dafür sorgen, dass sich der Diagnostiker weiterbildet oder in Zukunft von solchen Fällen die Finger läßt? Sonst könnte beim Patienten doch der Eindruck entstehen: Wenn Transsexuelle nach bestimmten Spielregeln leben, dann glaubt man ihnen, wenn nicht, dann wird behauptet sie seien nicht transsexuell.
Antwort:
Das ist nicht so einfach, deshalb veröffentlichen wir ja Listen geeigneter Ärzte und Psychiater. Wir schlagen in diesen Fällen ja auch einen Gutachter vor, den der Patient aufsuchen soll.
Frage:
Dies ist aber doch, im Sinne der freien Arztwahl nur ein Vorschlag an den sich der Patient nicht halten muss, wenn er selbst einen anderen geeigneten Fachmann kennt.
Antwort:
Richtig, der MDK kann das Prinzip der freien Arztwahl nicht einschränken. Er muss aber dafür sorgen, dass der vorgeschlagene Fachmann auch wirklich zur Verfügung steht und das Gutachten erstellt.
Frage:
Es handelt sich doch dabei nicht um ein Gutachten, sondern um die Bestätigung oder Revidierung der Diagnose?
Antwort:
Das ist im Prinzip doch ein Gutachten.
Frage:
Wenn Zweifel an der Reihenfolge oder der Art der gewählten Behandlung, oder an der Qualität des Behandlers bestehen, dann gelten analog die selben Aussagen?
Antwort:
Ja. Auch dann ist der MDK verpflichtet Alternativen aufzuzeigen, damit dem Patienten geholfen werden kann.
Frage:
Wenn sie gegenüber einer Krankenkasse also nur ein begründete Ablehnung schreiben und keine Alternativen aufzeigen, dann haben Sie nur einen Teil Ihrer Pflichten erfüllt?
Antwort:
Genauso wäre dies. ...
(Das Gespräch ging noch weiter, gibt aber auch so einen Einblick in Rechte und Pflichten des MDK, wie sie im Bereich Nordrhein gesehen werden.)
Das nachfolgende Schreiben "Ablehnung der Kostenübernahme für Mastektomie", vom Grenzschutzpräsidium West an den Antragsteller, kam zu Stande, nachdem der zuständige leitende Arzt sich beim MDK-Nordrhein "sachkundig" gemacht hat. Es erhebt die
Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen
der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung,
der Akademie für Sexualmedizin und
der Gesellschaft für Sexualwissenschaft
(veröffentlicht in Sexuologie 2 (IV) 1997 Seite 130-138)
quasie in den Stand einer Rechtsvorschrift, die buchstabengenau einzuhalten ist. (Wir veröffentlichen es deshalb hier ohne Nennung von Namen und Aktenzeichen. Siehe im Gegensatz dazu den Brief der Bayerischen Versicherungskammer)
Betr.: Antrag auf Kostenübernahme für eine Mastektomie bei sexueller Identitätsstörung
Bezug:
1. HfVBGS vom 08.02.1997
2. Standards der Behandlung und Begutachtung von Transsexuellen
3. Antrag vom xx.yy.zz
4. ÄD bei der BGSDIR IV - ...
Aufgrund der vorgelegten Unterlagen wird gem. Bezug 4) der beantragten Kostenübernahme für die Mastektomie auf Heilfürsorgemittel nicht zugestimmt.
Bevor überhaupt eine Kostenübernahme für operative Maßnahmen entschieden werden kann, ist eine längerfristige qualifizierte psychotherapeutische Begleitung (siehe Bezug 2. "Konsensuspapier") zu fordern, deren Inhalt und Verlauf durch einen ausführlichen Bericht dokumentiert sein muss. Adressen von qualifizierten Therapeuten waren Ihnen im Vorfeld dieser Entscheidung vom Ärztlichen Dienst bei der BGSDIR zugeleitet worden.
Ich bitte "......" von dieser Entscheidung in geeigneter Weise in Kenntnis zu setzen und ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass in eigenem Interesse die psychotherapeutische Begleitung angestrebt werden möge.
gez. Dr. med. ...