Grundsätzliches zum Thema
Anträge nach §1 und §8/§9 TSG
Das TSG wurde geschaffen um Menschen mit abweichender Geschlechtsidentität und ihren besonderen Problemen Rechnung zu tragen. Verfahren nach dem TSG erfordern keinen Anwalt. Der Gesetztgeber hat bewußt verschiedene "Einstiegsmöglichkeiten" geschaffen:
- den Antrag auf Änderung der Vornamen nach §1, die sogenannte "kleine Lösung"
- den Antrag zur Änderung des Personenstandes nach §8, die "große Lösung"
- die Möglichkeit den Antrag nach §9 zu stellen, den Vorabentscheid, um in einem gemeinsamen Verfahren schrittweise vorgehen zu können.
Ein Antrag muß angenommen werden wenn
- der Antragsteller glaubhaft erklärt, daß er sich dem anderen Geschlecht zugehörig empfindet und dieses Gefühl seit mindestens drei Jahren besteht. (Glaubhaft machen, nicht beweisen!)
- der Antragsteller in den Geltungsbereich des Personenstandsgesetzes bzw. des TSG fällt
Rein juristisch setzt eine Anntragstellung nach §1 oder §9 weder voraus, daß der Antragsteller schon in der angestrebten Geschlechtsrolle lebt, noch daß bereits medizinische Maßnahmen eingeleitet sind. Aus der Formulierung der Antragstellung sollte jedoch erkennbar sein, warum der Antragsteller jetzt tätig wird. Die Begründung dafür kann nur in der individuellen Lebenssituation des Antragstellers liegen.
Ein Antrag nach §8 setzt voraus, daß
- die beiden obigen Bedingungen erfüllt sind
- der Antragsteller nicht verheiratet ist
- der Antragsteller dauernd fortpflanzungsunfähig ist
- durch medizinische Maßnahmen einne deutliche Annäherung an das Erscheinunngsbild des anderen Geschlechtes erreicht worden ist.
Der Text des §8 Abs. 1 Punkt 4 lautet anders als ich es hier geschrieben habe. Die Rechtssprechung hat den ursprünglichen Text jedoch als nicht haltbar, in seiner praktischen Umsetzung, erkannnt und bereits in Form von Grundsatzurteilen anders entschieden. (Hinweis: "äußere Geschlechtsmerkmale" liegen nicht nur zwischen den Beinen.)
Diese grundsätzlichen Aussagen müßten eigentlich reichen, wenn wir es nicht immer wieder durch die Phantsie von Justizangestellten oder Richtern zu Schwierigkeiten kommen würde. In der Folge beantworte ich Fragen, die in letzter Zeit immer wieder an uns gestellt werden. Die 4. Frage ist vor allem für alle Intersexuellen von Bedeutung.
1. Frage:
Was soll ich tun? Der zuständige Richter lehnt die Entgegennahme des Antrages auf Vornamensänderung mit der Begründung ab, der Antragsteller lebe noch keine drei Jahre in der angestrebten Geschlechtsrolle. Dies sei aber laut TSG und Rücksprache mit den Experten (in einem Fall nachweislich der Mitarbeiter des MDK) erforderlich. (So geschehen z.B. in Frankfurt/Main und Kiel)
Antwort:
Gegen die zuständigen Richter ist sofortige Beschwerde bei nächsten Instanz einzulegen. Hat der Richter auf diese Möglichkeit nicht aufmerksam gemacht, so ist auch dagegen die sofortige Beschwerde möglich.
Das Verhalten des Richters ist eine eindeutige Rechtsbeugung, in mehrfacher Hinsicht:
1. das TSG wird hier falsch zitiert. Im § 1 heißt es, daß der Antragsteller seit mindestens drei Jahren das Gefühl haben muß dem anderen Geschlecht anzugehören (nicht es zu leben)
2. Auch bei der Antragsablehnung muß eine Rechtsbelehrung über die sofortige Beschwerde erfolgen.
3. Mitarbeiter der Arbeitsgruppe "Standards of Care" oder des Medizinischen Dienstes können zwar als Gutachter bestellt werden, sie können aber keine Aussagen zur Anwendung oder Wirkung des TSG machen, es sei denn, sie sind ausgebildete Juristen.
2. Frage:
Ich bin verheiratet und wollte den Anntrag nach §1 TSG stellen. Der Richter lehnte eine Entscheidung zur Namensänderung mit dem Hinnweis ab, daß mein Antrag wohl wenig glaubwürdig sei, wenn ich die Absicht hätte verheiratet zu bleiben. Muß ich jetzt wirklich die Scheidung einreichen um dann unverheiratet mit meiner Frau und den Kindern zusammen zu leben?
Antwort:
Die Ablehnung einer Entscheidung ist nicht rechtens. Gerade für Verheiratete, die es auch bleiben wollen, besteht die Möglichkeit nur nach §1 TSG die "kleine Lösung" zu beantragen.
In Köln wurde vom Regierungspräsidenten gegen positive Entscheidungennn zur Namensänderung Widerspruch eingelegt, mit der Begründung: "der Staat würde damit sanktionieren, daß zwei gleichgeschlechtliche Partner verheiratet sind".
Das übergeordnete Gericht lehnte den Widerspruch als unbegründet ab. Auch Transsexuelle Paare haben das Recht auf den besonderen Schutz der Familie. Da der Personenstand durch die Namensänderung nicht geändert wird kann auch nicht abgeleitet werden es würde jure eine homosexuelle Ehe sanktioniert. Da es staatlichen Stellen aber nicht zusteht einen Menschen zu diskriminnieren sind amtliche Anschreiben an die Eheleute
"An das Ehepaar Petra und Inge X"
zu richten oder
"An Frau Petra X und Frau Inge X"
Entsprechend gilt natürlich auch
"An das Ehepaar Klaus und Wilhelm Y"
3. Frage:
Seit ich mit der Einleitung von medizinischen Maßnahmen begonnnen habe gibt es zwischen mir und meiner Frau erhebliche Spannungen, obwohl sie vorher mit meiner Situation gut klar kam. Sie weiß von meiner Transsexualität nun schon seit über 10 Jahren und hat mich wie eine gute Freundin sogar bei meiner "Frauwerdung" beraten. Ich will nnun die Namensänderung beantragen und falls es doch zur Scheidunng komt auch die Personenstanndsänderung. Kann ich den Antrag gleich nach §9 stellen mit der Vorabentscheidung nach §1 TSG um mir ein zweites Verfahren zu ersparen? Macht es Probleme, wenn ich dann später, wenn die Ehe doch hält, auf die Personenstandsänderung verzichte?
Antwort:
In Deinem Fall empfiehlt sich sogar die Antragstellung nach §9 mit Vorabentscheid. Es kann ja sehr gut sein, daß Deine Frau wieder zu Dir findet, wenn sie sieht wie ernst es Dir einerseits mit der Namensänderung ist, auf der anderen Seite auch mit dem Erhalt der Partnerschaft. Wenn Du dann später, unabhängig von der Frage ob Du Dich hast operieren lassen, auf die Personenstandsänderung verzichtest, entstehen Dir keine Nachteile.
Grundsätzlich kann ein Antrag nach §9 TSG immer dann gestellt werden, wenn eine oder mehrere Bedingungen des §8 noch nicht erfüllt sind und eine Vorabentscheidung für den Antragsteller wichtig ist.
4. Frage:
Im Rahmen der Differentialdiagnostik hat sich bei mir herausgestellt, daß ich Intersexuell bin. Da ich davon nichts wußte und dem männlichen Geschlecht zugeordnnet wurde hielt ich mich bisher für transsexuell. Nun möchte ich meinen Namen und den Personnenstand im Geburtenbuch "wegen Irrtums" ändern lassen. Obwohl entsprechende ärztliche Bescheinigungen vorlagen lehnte der Standesbeamte die Änderung ab, mit dem Hinweis dies ginge nur nach dem TSG. Außerdem behauptete er, ich hätte ja damit bestimmt keine Probleme. Wie soll ich mich verhaltenn?
Antwort:
Wenn der Standesbeamte die Änderung ablehnt, dann kannst Du entsprechend § 45 PstG beim Amtsgericht einen Antrag auf "Vollzug einer Amtshandlung" stellen. Zuständig ist das Amtsgericht Deines Wohnortes. Die Einschränkung, wie beim TSG auf bestimmte Amtsgerichte, gilt in Deinem Fall nicht. Ebenso wenig sind die Vorschriften des TSG anwendbar.
Als Entscheidungsgrundlage stehen dem Richter neben Deiner Aussage über die Geschlechtsidentität die medizinischen Berichte über Deine intersexuelle "Normabweichung" zur Verfügung und die Bewertung, in wieweit diese Abweichung für die Geschlechtsidentität relevant ist. Eine bei der Geburt nicht erkannte intersexuelle Abweichung könnte mit einem "versteckten Mangel" verglichen werden. Daher können auch die Bestimmungen des TSG nicht zur Anwendung kommen.
Eine Voraussetzung für die Anwendung des TSG ist ja gerade der Umstand, daß der Antragsteller in seinem biologischen Geschlecht eindeutig männlich oder weiblich ist, sich aber dem anderen Geschlecht zugehörig empfindet. Damit verbietet sich die Anwendung des TSG bei Intersexuellen von selbst.
Intersexuelle beantragen die Ännderung von Namen und Personenstand grundsätzlich beim zuständigen Standesbeamten wegen offensichtlichen oder versteckten Irrtums. Als Beweis dient der medizinische Bericht.
Ich will an dieser Stelle nicht verhehlen, daß es in den letzten Jahren immer wieder vorkommt, daß Intersexuelle erst durch medizinische Maßnahmen in ein Geschlecht gepreßt werden und dann, wenn es scheitert, empfohlen wird nach dem TSG den Irrtum wieder "auszubügeln". Dieses Verfahren ist medizinisch und juristisch falsch und menschlich unzumutbar.
Wenn Ihr Probleme mit dem Gericht habt, von Mitmenschen wißt, die Probleme damit haben, dann informiert bitte umgehend die Geschäftsstelle der dgti e.V., Sulzbacher Str. 43, 90489 Nürnberg. Legt bitte der Schilderung des Sachverhaltes auch die Kopien der entsprechenden Schriftstücke bei. Alle Mitteilungen werden streng vertraulich behandelt, im Einzelfall werden wir nur tätig, wenn wir eine ausdrückliche Vollmacht dafür erhalten.
Ziel unseres Aufrufes ist es belegbare Fälle für unsere sozialpolitischen Aktivitäten zu erhalten. Das TSG und der Umgang damit berührt die Bereiche des Justiz-, Innen-, Sozial-, Gleichstellungs- und Familienministeriums.
V.i.S.d.P. Helma Katrin Alter
Beratungsstelle Nürnberg der dgti